welt online 06.12.2011

Wohngemeinschaft auf Rädern

Im Giesinger „Stattpark Olga“ überwintern 14 Lebenskünstler in Bauwagen

Stadt genehmigte die provisorische Siedlung bis Ende Januar


Adventsstimmung in der Wagensiedlung: Hinten leuchten Büros, im Bauwagen sitzt ein Bewohner im Schein seines Laptops

Die Milch für seinen Kaffee schäumt Peter L. in einer abenteuerlichen Eigenkreation auf. Dafür hat er tief in seinen „Gruschtelkasten“ gegriffen und verschiedene Alustücke, Teile eines Mikrofon-Stativs sowie die Kugel aus dem Lenkungslager eines Fahrrads in einer alten Espressomaschine verbaut. Peter L. lebt in einem Bauwagen im „Stattpark Olga“ in Giesing und genießt es, dass er dort kreativ sein kann – nicht nur beim Kaffeekochen. „Wenn ich irgendwo ein Fenster haben will, mach ich mir halt eins rein“, sagt der Ton- und Veranstaltungstechniker.

Seit Mai leben er und etwa 13 andere „Olgarianer“ auf dem 1500 Quadratmeter großen Gelände in einer Bauwagensiedlung, wo auch Konzerte, Workshops, Lesungen und Volksküchen angeboten werden. Nach anfänglicher Skepsis sicherte die Stadt der Gruppe den Platz in Giesing für neun Monate zu. Peter L. fühlt sich dort pudelwohl. „Eine Wohnung kann nie so gut zu mir passen wie so ein Gehäuse“, sagt er. Um einen Tisch am Eingang stehen ein alter Ledersessel, ein Metallhocker und Stühle mit Lammfellen darauf. Darauf zwei Vasen mit verwelkten Gänseblümchen und Löwenzahn, an der Wand lehnen Holzbretter. Nicht mal im Winter will er zurück in ein richtiges Haus. Seinen Wagen heizt er mit einem Holzofen. „Ich hab in allen Wohnungen mehr gefroren als hier“, sagt Peter. Außerdem: „Wer ne‘ fette Isolierung haben will, macht sich eine rein.“

Zu den Olgarianern gehören Männer und Frauen verschiedenen Alters, Familien, Studenten, Künstler, Selbstständige. Jeder hat seinen eigenen Bauwagen oder ausgebauten Lkw, für alle gibt es Werkstatt-, Gemeinschafts- und Sanitärwagen. Andreas M. baut derzeit an einem Atelierwagen. „Man findet immer wieder Gründe, warum es gut ist, im Wagen zu wohnen“, sagt er. Ihm gefällt der Zusammenhalt untereinander. Karuna Fuchs wollte nicht „irgendjemandem Miete zahlen“.

Die Bauwagensiedlung, sagen die Olgarianer selbst, ist „nicht perfekt, Hochglanz, schön“. Die bunt bemalten Bauwägen sehen teilweise recht klapprig aus. Auf dem Platz wuchert Unkraut, Maschendrahtzaun liegt und alte Klappstühle stehen herum. Trotzdem betonen die Bewohner: Der Wagenplatz sei ihre Wahlheimat. „Niemand hätte hier ein Problem, sich eine Wohnung zu mieten“, sagt Karuna F.. Gerade in München gelten Menschen wie die Olgarianer aber schnell als „Abgestürzte“, weiß Peter. Zwar täten sie alles, um sich nicht abzuschotten. Zum Beispiel mit einer Aktionswoche im August, zu der viele Interessierte zu den Veranstaltungen und mit den Olgarianern ins Gespräch kamen. Dabei ist ihnen klar, dass eine Bauwagensiedlung nicht jedermanns Sache ist. Leben im „Stattpark“ heißt selber machen statt machen lassen. Andreas Lkw ist fast 50 Jahre alt, die Werkstätten können mit der alten Technik nichts mehr anfangen. Die kaputte Bremse muss er deshalb selber reparieren. „Unterm Wagen zu schrauben bei Minusgraden ist auch grad kein Spaß“, sagt er. Als Toiletten gibt es mangels Alternativen zwei Dixi-Klos. „Wir finden’s auch nicht so wahnsinnig toll“, gesteht Karuna.
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Bis Ende Januar können die Bewohner in Giesing bleiben, dann will die Stadt ihnen einen neuen Platz zur Verfügung stellen. Wo der sein wird, steht noch nicht fest.

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