SZ vom 15.4.19 über die Wagenplatz-Gruppe „Rad und Tat“

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München und Region, 15.04.2019

Alternative Projekte

Anders wohnen schwer gemacht
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Von Anna Hoben

15 Erwachsene, mehr als 15 Kinder und Jugendliche. Vom Schreiner bis zum Politikwissenschaftler, vom Bildhauer bis zum Physiker, von der Sprachtherapeutin bis zum Cutter. Ganz normale Menschen mit ganz normalen Berufen, Jannis Hirschmann betont das extra. Anscheinend muss man das, wenn man einen Lebensstil im Sinn hat, der von dem abweicht, was für die Mehrheit normal ist – drei Zimmer, Küche, Bad. Hirschmann und seine Mitstreiter stellen sich eher so etwas vor wie: Wohnwagen, Klowagen, Wiese.

Dafür wollen sie einen Wagenplatz gründen, es wäre neben „Stattpark Olga“ und „Hin und weg“ der dritte in München. Doch zurzeit sieht es nicht so aus, als würde dieser Traum bald wahr. Das hat damit zu tun, dass Grundstücke in München rar sind. Einiges deutet aber auch darauf hin, dass die Politik solche Projekte zumindest nicht mehr aktiv unterstützen will.

Anfang 2018 stellen sie ihre Pläne im Bezirksausschuss Schwanthalerhöhe vor. Sie haben einen Verein gegründet, den sie „Rad und Tat“ nennen, auch ein Grundstück zur Zwischennutzung haben sie schon gefunden: eine städtische Baugrube mit dem Planungsnamen „MK 2“ an der Ganghoferstraße, nah an der Bahnlinie; voraussichtlich von 2022 an soll dort eine Mittelschule gebaut werden. Die Lokalpolitiker sind ausnahmslos angetan von der Idee einer Bauwagensiedlung auf Zeit. Die Leute von „Rad und Tat“ treten also mit dem Kommunalreferat in Kontakt, das die städtischen Grundstücke verwaltet. Auch die für Baugenehmigungen zuständige Lokalbaukommission ist mit der Sache befasst.

Fast ein Jahr lang werden sie hingehalten, ein Referat verweist auf das andere, so kommt es den Leuten von „Rad und Tat“ vor. Schließlich erfahren sie, dass es drei Probleme gebe: Erstens sei der Bahnlärm viel zu laut; zweitens erscheine das Problem des Rauchabzugs als nicht lösbar, weil das Grundstück in einer Senke liege; drittens seien Wagenburgen grundsätzlich in Baugebieten ohnehin nicht zulässig.

Auf all das verweist auch Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) in einem Schreiben an den Verein vom 28. Februar. Die Stadt könne weder für dieses Areal „noch für weitere Liegenschaften im Stadtgebiet München den Abschluss eines Grundstücksmietvertrages anbieten“. Bei den schon lange bestehenden Projekten Stattpark Olga sowie Hin und Weg verhalte es sich insofern anders, „als diese bisher städtische Flächen belegt hatten, die im öffentlichen Interesse dringend frei gemacht werden mussten“. Es ist also wohl schwieriger, etwas Bestehendes zu verbieten als etwas Neues zuzulassen. „Olga“ ist seit der Gründung vor acht Jahren mehrmals umgezogen – immer waren sie auf städtischen Grundstücken. Auch für „Hin und Weg“ ist die Stadt derzeit die Vermieterin.

„Wir kommen uns an der Nase herumgeführt vor“, sagt Jannis Hirschmann. Das Prozedere sei lang und undurchsichtig gewesen. Die Prüfungen dauerten eben so lange, entgegnet Birgit Unterhuber, Sprecherin im Kommunalreferat, auch, weil die Stadt zugleich für die anderen Wagenplätze auf die Suche gegangen sei. Die Absage habe man dem Verein im November 2018 telefonisch mitgeteilt. Die Stadt sei nicht die einzige Adressatin für Wagenplätze und nicht verpflichtet, Grundstücke zu suchen, betont sie. „Den Leuten ist es selbst überlassen, solche Vereine zu gründen. Es ist allerdings schwierig, noch städtische Flächen dafür zu finden.“ Zumal es sich immer nur um Zwischennutzungen handele, bevor von Neuem ein Ersatz gesucht werden müsse. Das Kommunalreferat habe im Übrigen durchaus Plätze angeboten, die befänden sich aber „naturgemäß eher am Stadtrand“ und seien von den Vereinen jedoch regelmäßig abgelehnt worden. Da klingt vonseiten der Stadt auch an, dass die Ansprüche der Wagenplatz-Enthusiasten nicht eben gering seien. Die entgegnen, dass sie ein zentrales Grundstück brauchen, weil sie sich nicht nur selbst verwirklichen wollen, sondern auch etwas zur Subkultur in München beitragen: Angebote schaffen für den Stadtteil, für die Nachbarschaft.

„Da hängen Einschulungstermine und Kitaplätze dran“
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Vergangenen Sommer machten die drei Projekte mit einer Demonstration vor der Oper auf ihre prekäre Situation aufmerksam; von der Stadt wünschten sie sich eine verbindlichere Kommunikation und eine dauerhafte Perspektive. Hinter „Olga“ bildete sich damals ein prominenter Unterstützerkreis – und im November kam auch die Zusage der Stadt für ein neues Areal.

Die Anwohner seien von den Projekten generell sehr angetan, sagt Dominik Krause, Vizefraktionschef der Stadtrats-Grünen. „Wir finden, dass solche Projekte wichtig sind und die Stadtteile bereichern.“ Auch wenn die Grundstückssuche zusätzliche Arbeit für die Stadt bedeute: Es müsse in München auch Platz für so etwas geben. „Subkultur gehört nicht ins Nirwana, sondern in die Stadt.“ Die beiden großen Stadtratsfraktionen tun sich mit dem Thema offenbar schwerer: CSU und SPD äußern sich überhaupt nicht. Und Oberbürgermeister Reiter sagt nur, er hege Sympathien für alternative Wohnprojekte und wolle ihnen „keine Steine in den Weg legen“. Aber in der Innenstadt sei es schwierig.

Schwierig für die Leute von Rad und Tat war, dass es sich so lange hingezogen hat. „Da hängen Einschulungstermine und Kitaplätze dran“, sagt Hirschmann. Bei vielen sei die Enttäuschung groß, dass es nun nicht klappt. Richtig überzeugt sind sie nicht von den Absagegründen für das Grundstück auf der Schwanthalerhöhe; schließlich sei es auch den beiden anderen Wagenplätzen schon einmal als Ersatz angeboten worden. Das Kommunalreferat äußert sich dazu nicht. Aufgeben will der Verein nicht – sondern weiter suchen nach mindestens 1000 Quadratmetern Grund, von privat oder eben doch außerhalb Münchens. Hirschmann bleibt mit seiner fünfköpfigen Familie nun erst einmal in der 60-Quadratmeter-Wohnung in Sendling – im Vergleich zum Bauwagen haben sie es dort regelrecht geräumig.

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