Süddeutsche vom 26.7.2018

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26. Juli 2018, 18:54 Uhr Alternatives Wohnen
Was Neues wagen


Vertreter von drei alternativen Wohnprojekten machen bei einer Kundgebung am Max-Joseph-Platz auf ihre Anliegen aufmerksam. Ein extra hierfür aufgebauter Mini-Wagenplatz zieht vor allem die Aufmerksamkeit der Mini-Menschen auf sich. (Foto: Florian Peljak)

München ist nicht gerade überreich an Freiräumen und alternativen Projekten. Das bekommen vor allem die Menschen zu spüren, die auf Wagenplätzen leben. Zwei davon gibt es, sie müssen immer wieder umziehen. Ein dritter ist geplant – er hat noch keinen Ort gefunden
Von Anna Hoben

Der Kontrast könnte größer kaum sein. Im Hintergrund Residenztheater und Staatsoper, Sinnbilder für Hochkultur, altehrwürdige Institutionen, fest im Stadtbild verankert. Im Vordergrund drei Bauwagen, die vor einer Stunde noch nicht da standen und im Nu aufgebaut worden sind, Sinnbilder für Subkultur und einen alternativen Lebensstil, zusammengezimmert, mobil. Sie haben sich den Max-Joseph-Platz für ihre Aktion am Donnerstag natürlich sehr bewusst ausgesucht, die Bewohner der drei Münchner Wagenplätze Stattpark Olga, Hin & Weg sowie Rad & Tat. Sie wollen zeigen, dass auch sie eine Berechtigung in dieser Stadt haben, die nicht gerade verschrieen ist wegen eines Überangebots an Freiräumen und alternativen Projekten. Sie wollen Aufmerksamkeit erzielen, für ihre Art zu leben. Und dafür, dass sie sich eine Perspektive wünschen, eine dauerhafte, dringend.

Deshalb haben sie die drei Wagen hergefahren, in die neugierige Besucher einen Blick werfen können. Sie haben zusätzlich eine Mini-Wagenburg aufgebaut, die zeigt, wie unterschiedlich man seinen Bauwagen, seinen Lkw oder sein selbst zusammengezimmertes Tiny House gestalten kann. Es gibt eine Fotowand mit Szenen aus dem Wagenplatz-Alltag, und unter Sonnenschirmen können Kinder sich ihren eigenen kleinen Bauwagen basteln.

Die Stimmung unter den Bewohnern sei „angespannt“, sagt Lasse Ihlow vom Verein Hin & Weg, den es mittlerweile schon seit zwei Jahrzehnten gibt. Seit fünf Jahren leben die Mitglieder ihren persönlichen Traum von der Münchner Freiheit auf der Brachfläche am zukünftigen Pühnpark an der Denninger Straße in Bogenhausen; doch Ende August müssen sie den Platz räumen und in ein Ausweichquartier ziehen. Ob sie danach zurück können oder nicht, dazu ging es in den vergangenen Wochen hin und her. Nein, hieß es zunächst vom Kommunalreferat, doch darauf regte sich Protest. Es sieht nun wieder ganz gut aus für die Wagenwohner – trotzdem fühlen sie sich im Unklaren gelassen.

„Die überwältigende Mehrheit der Nachbarschaft möchte, dass wir hier bleiben“, sagt Ihlow, auch der Bezirksausschuss unterstütze das Projekt. Trotzdem sei es äußerst schwierig, in München eine dauerhafte Perspektive zu bekommen. Ähnlich geht es den Bewohnern von Stattpark Olga. Vor acht Jahren gegründet, verstehen die Bewohner ihr Projekt nicht nur als Wohn-, sondern auch als Kulturraum. Als Gemeinschaftsprojekt, das einen Gegenentwurf bildet zur typisch großstädtischen Vereinzelung und Vereinsamung. Auch bei ihnen läuft der Mietvertrag für den aktuellen Standort in Obersendling im August aus. Es steht also mal wieder ein Umzug an, der vierte in acht Jahren. Nach jetzigem Stand allerdings stünden dann 20 Erwachsene und sieben Kinder erst einmal auf der Straße, sagt Olga-Bewohner Frank Benninger. „Das ist nicht gerade beruhigend.“ Die Standorte, die im Gespräch waren, lägen zu abseits und seien „für das, was wir machen wollen“, also auch Kulturveranstaltungen, nicht geeignet. Eine neue Lösung könnte nun möglicherweise der Siemens-Sportpark in Obersendling sein. „Aus unserer Sicht spricht überhaupt nichts dagegen, ihn auch für Olga zu nutzen“, sagt der Grünen-Stadtrat Dominik Krause, der bei der Kundgebung vorbeischaut.

Und dann ist da noch die Gruppe Rad & Tat, die seit einem Jahr plant und am liebsten sofort loslegen möchte – allein, es zieht sich hin. Die 15 Erwachsenen, die zahlenmäßig von ihren Kindern übertrumpft werden, interessieren sich für ein Grundstück an der Ganghoferstraße auf der Schwanthalerhöhe. Noch wohnen sie alle in Wohnungen oder Wohngemeinschaften, „mondän“, sagt Florian Holy und grinst. Doch sie stellen sich ein anderes Lebenskonzept vor, eines, in dem sie sich aufs Wesentliche reduzieren, einander gegenseitig unterstützen und vor allem: selbst gestalten. Es ist ein schöner Nebeneffekt in der Stadt mit Deutschlands höchsten Mietpreisen, dass es sich in einer Wagenburg vergleichsweise günstig wohnen lässt. Ursprünglich sei ihnen der 1. Juni in Aussicht gestellt worden, sagt Holy, doch bis heute gebe es von der Stadt keine Zusage. Was sie sich wünschen? Eine bessere Kommunikation und ein klareres Prozedere. „Warum ist das so schwierig?“

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