süddeutsche 18.01.2012

Wohnen in der Wagenburg Leben auf Rädern

Von Anna Fischhaber

Bauwagen statt Wohnung: Sarah L. wohnt mit ihrem Mann und ihrem kleinen Sohn in der Wagenburg „Olga“ mitten in München. 120 Euro Miete zahlt sie für die zwei Bauwägen, in denen es eine Orgel und neuerdings sogar eine Toilette gibt.

Seit einiger Zeit hat Sarah L. Traumhaus sogar eine Toilette. Demnächst sollen ein Türmchen, eine Wendeltreppe und eine Dachterrasse folgen. Und irgendwann ein eigenes Zimmer für Miro, schließlich ist die 28-Jährige gerade Mutter geworden. „Das Schöne ist, dass man nie fertig wird“, sagt Sarah.

Impressionen aus der Wagenburg – Mein Haus? Ein Auto!

Die Führung durch ihr Traumhaus geht schnell. Das Haus, in dem sie mit ihrem Sohn und ihrem Mann lebt, besteht aus einem Zirkuswagen, der mit Tigern bemalt und Wohnzimmer, Küche, Musikzimmer und Büro zugleich ist, und einem kleinen grünen Möbelanhänger mit der Aufschrift „Bequemlichkeit mit Garantie“. Hier sind Kinderzimmer und Klo untergebracht. Nur 120 Euro Miete will die Stadt für den Stellplatz, doch Sarah L. wohnt nicht hier, weil es so billig ist.

Ist das im Winter nicht zu kalt? Das ist die Frage, die andere Mütter oft stellen, wenn sie hören, dass die junge Frau seit fast einem Jahr im Bauwagen lebt. Dabei sind die zwei Wägen nicht nur sehr ordentlich, sondern auch ziemlich gemütlich: Es gibt Strom und Wasser aus dem Kanister, Holzöfen verbreiten trotz des Frosts draußen angenehme Wärme.

Die Familie hatt Parkettboden verlegt, sie haben Fenster eingebaut und Vorhänge aufgehängt, es gibt einen Wickeltisch, eine elektrische Nähmaschine und sogar eine Orgel. Nur ein Schloss gibt es nicht. Sarah L. findet das schön, sie ist vor allem wegen des Gemeinschaftsgefühls in die Wagenburg „Stattpark Olga“ in der Nähe des Giesinger Bahnhofs gezogen.

Die Bewohner der Wagenburg verstehen sich als soziokulturelles Projekt. Sie kochen zusammen, veranstalten Konzerte für die Nachbarschaft und helfen sich, wo sie können. Es gibt einen Aufenthaltswagen und ein Gemeinschaftsbad, selbst der Briefkasten wird geteilt. 16 Erwachsene und ein paar Kinder leben derzeit hier, Miro L., vier Monate alt, ist der jüngste Bewohner – er ist das erste Baby, das in der Wagenburg geboren wurde.

„Anfangs hatte ich schon Panik, dass das mit Miro zu viel wird“, sagt Sarah Lidl. Inzwischen hat sie sich daran gewöhnt, dass manche Dinge auf dem Wagenplatz etwas länger dauern. Vor dem Stillen muss sie sich um Brennholz kümmern, wenn sie in Ruhe Duschen will, bleibt oft nur der Besuch im Schwimmbad.
Vorhang statt Tür

Wenn Sarah L. vom Leben im Bauwagen erzählt, klingt das nach Konsumkritik, Freiheit und On-The-Road-Romantik – dabei führt die junge Mutter ein ziemlich bürgerliches Leben: Zweimal die Woche fährt die Gesangslehrerin mit ihrem Auto zu der Logopädie-Praxis, in der sie arbeitet, manchmal kommen auch Schüler in den Wagen.

Nur Nachbarn, die sich über den Gesang beschweren, gibt es in der Wagenburg nicht. Stattdessen leben hier Leute wie Max, Lebenskünstler und Besitzer eines winzigen und ziemlich chaotischen Militäranhängers, in dem er meist auf Achse ist.

Impressionen aus der Wagenburg Mein Haus? Ein Auto!

Sarah L. hat sich dagegen in München häuslich eingerichtet – so weit das hinter einem Bauzaun in einer Bauwagen-Siedlung, die die Stadt bis Ende 2012 dulden will, eben geht. In eine Wohnung will die 28-Jährige dennoch nicht mehr ziehen, sie würde das Leben im Freien vermissen. Vielleicht ein Wagen im Grünen, irgendwann. Erst einmal aber ist sie froh, dass ihr Bauwagen jetzt eine eigene Toilette hat – auch wenn es statt einer Tür nur einen Vorhang gibt.

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