Münchner Merkur 13.10.14

Die Menschen, die keine Wohnung wollen

Von Felix Müller

20 Erwachsene und sieben Kinder leben in Bauwagen am Viehhof. Wir haben sie besucht und uns erzählen lassen, warum sie nicht mehr in Häusern wohnen wollen, welche Vorteile ein fester Wagenplatz hätte – und was Kinder an diesem besonderen Lebensstil begeistert.

Wer in München eine Wohnung hat, ist froh, wer eine sucht, weniger. Im Schlachthofviertel wohnen seit ein paar Tagen 20 Erwachsene und sieben Kinder, für die beides nicht zutrifft. Sie wollen lieber im Bauwagen wohnen. Für Sarah, Schlabberhose, breites Grinsen, ist das ein Traum. Sie steht vor ihrem Wagen in der Herbstsonne und spült in einer Wanne ab, während ihr Sohn auf dem Rasen herumsaust. „Eigentlich“, sagt sie, „kann ich mir überhaupt nicht mehr vorstellen, in ein Haus zu ziehen“. So geht es vielen in der bunten Wagenburg „Olga“, die hier seit ein paar Tagen ein neues Zuhause hat.

Seit 2010 gibt es das Projekt. Anfangs noch kritisch beäugt, haben sich die alternativen Bewohner das Vertrauen der Stadt erarbeitet. Seit 2011 parkten die Wagen an der Aschauer Straße in Ramersdorf. Jetzt hat die Stadt das Gelände an der Ecke Ruppert- und Tumblinger Straße am Viehhof an sie vermietet. Vorübergehend. Ab 2016 sollen hier ein Kulturzentrum und eine Berufsschule entstehen.

Jetzt aber zieht erstmal alternatives Leben ein. Und lebendig, das ist es auf dem Platz. Kinder schaukeln, klettern auf einem Traktor herum, hacken Holz, plötzlich kommen ein paar Hühner hinter einem Wagen hervor, immer wieder rauschen Züge direkt vorbei. Es sind ganz verschiedene Menschen, die hier leben. „Studenten, Freischaffende, Angestellte, Mütter, Künstler und Musiker“, wie Christian erzählt. Er selbst ist Schreinermeister. „Ich fand schon als Kind immer Peter Lustig super“, erzählt er. Jenen Peter Lustig also, der in der Kindersendung „Löwenzahn“ im Bauwagen lebt – und sich immer mit dem spießigen Nachbarn anlegt.

Das wiederum wollen die Bewohner nicht nachmachen. Im Gegenteil. Am Sonntag haben sie Anwohner zum Kennenlernen bei Kaffee und Kuchen eingeladen. Würden sie einmal einen Platz für längere Zeit bekommen, würden sie Nachbarn Beete anbieten. Auch so soll es im Sommer jeden Donnerstagabend Veranstaltungen geben, Lesungen, Konzerte.

Was angeboten wird, entscheidet das „Plenum“, wo die Bewohner auch gemeinsam beraten, wer neu einziehen darf. Sie zahlen eine fest vereinbarte Miete an die Stadt – jeder aber freiwillig nur so viel er will. „Das funktioniert!“, betont Bewohner Martin.

Christian sitzt auf einer Holzpalette, die als Treppe zum Gemeinschaftswagen dient. Als allererstes, sagt Christian, habe er „ausmisten“ müssen. „Wenn man keine Wohnung mehr hat, muss man überlegen, was man wirklich braucht.“ Ob er nicht manchmal Sehnsucht hat nach einer eigenen Wohnung? Kurz überlegt er. „Gar nicht!“ Und nach einer WG auch nicht. Der Platz vereine die Vorteile des Alleine- und Gemeinsamlebens, betonen alle. Sarah sagt: „Ich kann die Tür zumachen, aber auch sagen: Da sitzen 20 Leute am Feuer, da setze ich mich jetzt dazu.“ Trotzdem sei die Gemeinschaft etwas Besonderes – auch und gerade für die Kinder. „Es gibt doch nichts Besseres für sie, als so viele Ansprechtpartner zu haben“, sagt Christian. „Es ist wirklich so, dass dann eben ein anderer nach dem Kind schaut, wenn einer abspült.“ Und wie reagieren die Freunde der Kinder auf den Wagenplatz? „Die finden das extrem spannend“, erzählt Christian. Und dass sie auch immer unbedingt mal im Bauwagen übernachten wollen.

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