Süddeutsche vom 4.8.2019

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4. August 2019, 21:33 Uhr München
„Gemeinsam laut gegen stille Verdrängung“


Bunter Protest: Am Samstag machte sich ein langer Tross durch die Stadt auf, um für mehr kreative Freiräume in München zu demonstrieren. (Foto: Sebastian Gabriel)

Auf seinem Zug ins Westend macht der Freiraum-Konvoi auf die Situation nichtkommerzieller Projekte aufmerksam
Von Andrea Schlaier

Im vierten Stock zwängt sich eine ganze Familie aus dem offenen Fenster, Vater, Mutter, je ein Kind auf dem Arm; zwei Wohnungen weiter linst eine Senioren verstohlen von ihrem mit Deutschland-Fahnen beflaggten Balkon nach unten. Und kaum hat die Schönheit im Erdgeschossladen gegenüber ihre Tür auch nur einen Spalt geöffnet, drückt ihr schon ein Kahlkopf mit grauem Rauschebart, Nickelbrille und schwarzen Klamotten einen Zettel in die Hand: „Damit du weißt, was das hier soll.“

Auf der Bergmannstraße ging am Samstag auch kurz nach 19 Uhr noch die Post ab. Ein Zug aus Bauwagen, Retro-Traktor, Rädern, Rikschas, Rollschuh- und Rollstuhlfahrern, Jungen und Älteren, dazwischen viel schwarze Garderobe und buntes Haar, zog durch die Schwanthalerhöhe, und von den offenen Lastern dazwischen pochte wechselweise Elektro-Gezwitscher, Punk-Rock oder Hausbesetzer-Liedgut: „Macht kaputt, was euch kaputt macht!“ Der Freiraum-Konvoi zog wieder durch die Stadt, in diesem Jahr vom Resi-Huber-Platz bis ins Herz des Westends.

Seit 2012 macht sich dieser Zug auf den Weg durch die Stadt, die Botschaft bleibt die gleiche: „Im zuspekulierten, zugentrifizierten München“ sehen die Aktivisten „kaum Chancen und Freiräume für kleine, unkommerzielle, liebevolle, bunte Projekte oder Kollektive, Bands oder einzelne Engagierte, die doch so viel mehr Leben, Farbe und Klang in unser sauberes München bringen könnten“. Eine positive Demonstration soll es sein, sagt Jens Mädiger als einer der Organisatoren. „Es geht im Prinzip um Begegnungsstätten, wo sich Menschen ohne kommerziellen Zwang treffen können.“ „Klar“, sagt Mädiger als Bewohner der, wenn man so will, alt eingesessenen Bauwagensiedlung „Stattpark Olga“, kämen sie hier alle aus dem subkulturellen Kontext. Aber sie wollten keine Punkrock-Konzerte, es gehe ihnen eher um Integration in die Stadtteile. „Gemeinsam laut gegen stille Verdrängung“ steht auf einem mit Rad gezogenen Vehikel.

Stadtbekannte und -unbekanntere Projekte waren in diesem Jahr gleichermaßen am Konvoi beteiligt, etwa die Wagenburgler von „Hin und Weg“ oder „Rad und Tat“, Wohnprojekte wie „Ligsalz 8“ oder „El Caracol“ oder die Kulturschaffenden vom „department of volxvergnuegen“ und dem „Kafe Marat“. Der Chaos Computer Club München war auch dabei.

Immer wieder stoppt der bunte Zug am Samstag, um auf an der Adresse ansässiges Projekte zu verweisen, in der Mehrzahl aber auf welche, die an der Stelle eben nicht zum Zug gekommen sind. Ende Juni ist etwa die Kulturinitiative „Irrland“ aus der Bergmannstraße Nummer 8 ausgezogen. „Bis zum Ende wussten wir nicht, warum uns gekündigt wurde“, sagt einer der Ehemaligen vom offenen Planwagen herunter. „Wem gehört die Stadt?“, fragt er in die Menge. „Allen gehört die Stadt“, schallt’s von der Straße. Der Jingle der Konvoiler wird zum Kehrreim der vierstündigen Demo-Schlange, die sich bis zur Schrenkstraße durch die teure Stadt windet und der sich zeitweise bis zu 400 Münchner anschließen. Fensterplätze nicht mitgezählt.

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