Leben auf Achse
Peter Lustig hat es vor 30 Jahren in der Kindersendung Löwenzahn vorgemacht: Ein gemütlich eingerichteter blauer Bauwagen ist alles, was er zum Leben braucht. Himmelbau ist auch der Wagen, in dem Andreas M. und Markus M. sitzen. Jens ist der Dritte im Bunde. Er will seinen Nachnamen nicht nennen, weil er in einer „konservativen Branche“ tätig ist und seinem Chef nicht gefallen könnte, wie er lebt.
Die Drei gehören zu einer Gruppe Münchner, die ihre Wohnung gegen ein mobiles Zuhause eingetauscht haben. „Es ist die Gemeinschaft hier und für mich ist es auch ein Stück Freiheit“, sagt Jens. Und auf die Frage, ob es bei Minusgraden nicht schöner wäre, in einer gemütlich warmen Wohnung zu leben, antwortet Morgenstern: „Ich habe einen Holzofen. Meine Wohnung ist auch gemütlich warm, sie hat nur vier Räder. Wenn andere ihre Heizung aufdrehen, muss ich eben zum Holzhacken gehen.“
Ein gemütlich eingerichteter Bauwagen ist alles, was Jens und seine Freunde zum Leben brauchen. Foto: Fred Schöllhorn
Irgendwann kam die Polizei
Ganz so unbeschwert können die Männer, die zum Teil mit Familie unter ihren mobilen Blechdächern leben, dieser Tage ihre Freiheit nicht genießen: Sie suchen nach einem Wohnwagenplatz, wo sie mit ihren Fahrzeugen bleiben können. Ihre bewegliche Siedlung nennen die derzeit auf verschiedene Standorte verteilten Münchner „Olga“: „Ohne Lenkrad geht auch“ bedeutet die Abkürzung. Ganz so bierernst dürfe man den Namen allerdings nicht nehmen, erklärt der 31-jährige gelernte Fotomedienlaborant Andreas Morgenstern. Bis September war für die rund ein Dutzend Männer, Frauen und Kinder von „Olga“ die Welt noch in Ordnung. Sie lebten auf einem städtischen Grundstück in der Dachauer Straße. Doch irgendwann sei die Polizei gekommen und habe ihnen mitgeteilt, dass sie den Platz räumen müssen. „Jetzt stehen wir wieder auf der Straße“, sagt der 33 Jahre alte Diplom-Ingenieur Jens.
Deshalb wird ein günstiges Grundstück, das gemietet werden kann, gesucht. Als Gegenleistung möchte die ungewöhnliche Wohngemeinschaft den Stadtteil mit kulturellen Projekten bereichern. „Wir wollen Künstlern einen Raum bieten, in dem sie sich solidarisch und unkommerziell verwirklichen können“, sagt Morgenstern. So soll einmal pro Monat ein Kinoabend veranstaltet werden. Zudem sind Theater- und Kleinkunstvorführungen geplant. Da der Initiative auch Handwerker angehören, denke man über die Gründung einer „mechanischen Selbsthilfegruppe“ nach – wo Menschen beispielsweise gemeinsam ihre Räder reparieren können.
Zwar haben Andreas M. und Kollegen bereits Kontakt mit der Stadt München aufgenommen und um Hilfe bei der Suche nach einem geeigneten Grundstück gebeten. Doch dort ist man sich bislang nicht einmal sicher, wer zuständig ist. „Auf der einen Seite ist es ein Kulturprojekt – auf der anderen Seite ein Wohnprojekt“, sagt Pressesprecherin Silke Pesik auf Nachfrage. Die Konsequenz: Kultur- und Kommunalreferat schieben sich den Fall gegenseitig hin und her. Eines sei aber klar: Dass die Wagenbewohner nicht in der Dachauer Straße bleiben durften, habe baurechtliche Gründe gehabt. Voraussetzung für eine Zulassung sei ohnehin, dass Abwasser entsorgt werden könne. Und auch Strom und Wasser müssten vorhanden sein. „Das ist ein großes Problem. Für alternative Wohnformen gibt es in München keine Flächen“, sagt Pesik. Eine Lösung hat auch sie nicht parat. Jedoch gebe es „Gespräche auf dem kleinen Dienstweg“. Details aber nennt die Sprecherin der Stadt nicht. „Auf irgendwelchen Grünflächen ist es aber grundsätzlich nicht möglich.“
Andreas, Jens und Markus können jetzt nur hoffen, dass sie einen einigermaßen erschwinglichen privaten Wohnwagenplatz finden. Dann wäre zumindest die Zuständigkeit geklärt: Laut Pesik muss sich dann das städtische Planungsreferat um den Fall kümmern. Solange werden die Wagenbewohner wohl irgendwo an Münchens Straßen kampieren. Aufgeben und wieder in ein Haus ziehen, kommt für sie aber nicht infrage. Wer auch immer bereit sei, sie in seiner Nachbarschaft aufzunehmen – Angst müsse keiner haben: „Wir sind alle ganz normale Menschen, die ihren Berufen nachgehen“, versichert der 25-jährige Baumpfleger Markus Meier. Felix Frasch