Aufgrund der weiterhin angespannten Platzsituation von Stattpark OLGA, das aktuelle Grundstück in wenigen Wochen ohne Alternative verlassen zu müssen, und von Rad und Tat, ein seit geraumer Zeit zugesagtes Grundstück nicht beziehen zu können, wurde am 11. 9.2018 der folgende Offene Brief OB Dieter Reiter übergeben und an die Presse geleitet.
Perspektive für die Münchner Wagenplätze Rad & Tat, Stattpark OLGA und Hin & Weg
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Reiter,
herzlichen Dank, dass Sie sich für unser Anliegen Zeit nehmen. Wir möchten uns mit diesem Schreiben an Sie persönlich wenden, da wir uns in den letzten Monaten einer sehr ungewissen Mietsituation ausgesetzt sahen und sehen.
Als drei engagierte Münchner Wohn- und Kulturprojekte möchten wir uns Ihnen nochmals vorstellen und auf den aktuellen Stand unserer Wagenplätze aufmerksam machen:
• Die drei Wagenplatzprojekte “Rad und Tat”, “Hin und Weg” und “Stattpark Olga” sind zwar individuelle Wohnprojekte mit bestimmten Schwerpunkten, doch verbindet sie, über einen engen solidarischen und freundschaftlichen Kontakt hinaus, auch das Konzept und die Idee von gemeinschaftlichem Zusammenleben und alternativer Lebensform.
• Das Leben in Bau- und Zirkuswägen sowie umgebauten Lastwägen oder “Tiny Houses” bedarf einer bewussten Entscheidung für ein eher minimalistisches Lebenskonzept. Fragen nach dem, was für ein komfortables Leben notwendig ist, gehören für Wagenbewohner zum Alltag und schärfen den Blick für den Überfluss unserer Konsumgesellschaft.
• Dabei richten wir in unseren Diskussionen und Entwürfen besonderes Augenmerk auf die Gestaltung einer ökologisch sinnvollen, ressourcen-orientierten und nachhaltigen Lebensweise.
• Die Idee einer gemeinschaftlichen Auseinandersetzung über einen verantwortungsbewussten Umgang mit unserer Außenwelt reicht allerdings über die praktischen Dinge des Alltags hinaus und schließt Prozesse unseres sozialen Miteinanders mit ein.
• Die Organisation eines gemeinschaftlichen Lebens, zu dem Diskussionen und kollektive Entscheidungsprozesse gehören (die das Wohnprojekt oder Nachbarschaftsprojekte betreffen), sind ein wichtiger Bestandteil des weiten Experimentierfeldes dieser Lebensweise.
• Diesen Raum für Diskussionen und Auseinandersetzung schaffen wir nicht nur für uns als Bewohner, sondern auch für andere Interessierte. Wir halten es für ebenso wichtig die Idee des sozialen Miteinanders möglichst sichtbar, transparent und umsetzbar zu machen. Dafür schaffen wir immer wieder Anlässe und Freiräume, damit andere dies selbst versuchen können.
• Sichtbaren Anklang bei Nachbarschaft und Besuchern fanden dabei offene Angebote wie unter anderem unsere Umsonstläden, die sich immer wieder nach kürzester Zeit zu Treffpunkten für nachbarschaftliche Gespräche entwickelten.
• Neben dem Angebot sich in der Nachbarschaft auszutauschen, möchten wir durch die Offenheit unserer Wagenplätze dazu anregen, über die eigene Lebensweise nachzudenken sowie dazu ermutigen, auch selbst Alternativen auszuprobieren.
• Ganz grundsätzlich, aber auch gerade in einer Stadt wie München, ist es uns wichtig, Angebote für Menschen zu machen, die sich vieles nicht leisten können. Dabei ist unser Anspruch, möglichst niederschwelllige nicht kommerzielle kulturelle Angebote zu ermöglichen und somit kreative Freiräume zu schaffen.
Wir sehen alternative Wohnformen als einen Versuch, neue Wege zu beschreiten und der akuten Wohnungsnot in München kreativ entgegenzutreten. Dabei tragen wir mit unseren Projekten nicht nur eine größere kulturelle Vielfalt in die Münchner Innenstadt, sondern zeigen gleichzeitig auf, wie bisher ungenutzte Brachflächen zu einer wunderbar bunten und offenen Oase für alle werden können!
Stattpark OLGA:
Sehr geehrter Herr Reiter,
wir, die Bewohner des Wagenplatzes Stattpark OLGA, möchten Ihnen unsere derzeitige Problematik erläutern:
Wie Sie wissen, sollten wir bis Ende August unseren jetzigen Standort auf der Boschetsrieder Strasse geräumt haben. Unser Mietvertrag wurde vor Kurzem bis Mitte Oktober verlängert, aufgrund der bisherigen Ermangelung eines Alternativstandorts. Mittlerweile sind wir einigermaßen ratlos: Wir bemühen uns seit Oktober 2017, aktiv und intensiv, um einen neuen Platz und sind auch schon „geübt“ im Umzugsprozess. Trotzdem empfinden wir die jetzige Situation für uns und unser soziokulturelles Projekt als bedrohlicher denn je. Wie konnte es dazu kommen?
Hier ein paar Gründe zusammengefasst:
Etliche Plätze wurden von uns eingereicht, aber alle mit unterschiedlichen Begründungen abgelehnt. Genannt wurden uns anstehende Bauvorhaben, der Bedarf als Ausgleichsflächen oder mangelnde Vorraussetzungen. In einigen Fällen wurde mit sehr unkonkreten Angaben abgewunken. Das Kreativquartier ist so ein Fall. Seit Jahren bemühen wir uns um das Gelände an der Heßstraße. Diese Brache ist Teil des Bauprojekts „Kreativquatier“, steht aber faktisch seit 2009 leer. Es wird zwar zeitweise als Parkplatz für Baufahrzeuge genutzt, flächenmäßig wäre für Stattpark OLGA trotzdem Platz. Bei jährlicher Nachfrage wurde uns gesagt, dass es zeitnah bebaut wird. Das ist in unseren Augen kein Grund. Wir standen in den letzten Jahren immer auf Brachen, die zeitnah bebaut werden sollen. Es ist nicht nachvollziehbar, dass wir bei diesem Standort so vehement abgelehnt werden. Vor allem, weil dieser Baubeginn nie stattgefunden hat.
Das bedauern wir sehr, da wir theoretisch diese Brache im Herzen Münchens mit unserem vielfältigen kulturellen, kreativen, partizipativen und offenen Angebot beleben hätten können. So bieten wir, als zehn Jahre bestehendes Wohn- und Kulturprojekt, mit wöchentlichen, unkommerziellen Veranstaltungen ein breites, musikalisches, kreatives, kulturelles, (und gesellschaftspolitisches) Programm, das mit ehrenamtlichem Engagement gestemmt wird. Seit 2011 blicken wir auf über 250 Veranstaltungen zurück. Wir haben uns als Projekt all die Jahre an etlichen Veranstaltungen in der Stadt, wie etwa das “Rage against Abschiebung” beteiligt. So unterstützen wir seit Gründungsbeginn verschiedenste Initiativen/Projekte mit unserem “know how” und unserer Infrastruktur. Wir organisieren immer wieder kulturelle Großveranstaltungen, wie den jährlich stattfindenden Freiraumkonvoi oder die Freiraumtage für München. München braucht alternative Freiräume. Und zwar nicht in Lochhausen oder Freiham sondern in der Stadt. Wir als Projekt brauchen, um unser Engagement mit derselben Qualität weiter leisten zu können, einen Standort, der an ein belebtes Stadtviertel, sowie an eine gut erreichbare öffentliche Anbindung angeschlossen ist. Dass die Stadt trotz Flächendruck doch immer wieder innenstadtnahe Leer- flächen für Zwischennutzungen findet, zeigt zum Beispiel der ungewöhnliche Standort der Alten Utting auf der Eisenbahnbrücke im Schlachthofviertel. Wir denken und hoffen, dass unsere Stadt, die für kommerzielle Zwischennutzungen Raum findet, das auch für ein unkommerzielles Projekt leisten kann. Nach einem Jahr intensiven Umzugsplanungen stehen wir jetzt vor mehr Fragen als Antworten.
Eine Sache ist uns aber klar geworden: wir wollen und können nicht mehr alle zwei Jahre umziehen. Denn kaum haben wir uns in einem Viertel eingewöhnt, sind wir gleich wieder gefordert, um den Auszug zu organisieren. Ein wichtiger Punkt, der gegen allzu kurze Mietverträge spricht, ist auch die Problematik die das kurzfristige und häufige Ummelden und Umschulen unserer Kinder in Kitas und Schulen mit sich bringt. Wir haben festgestellt, dass die von uns bereits bewohnten Plätze vor unserer Ankunft bereits viele Jahre leer standen. So hatte die Stadt für die Tumblingerstraße zwischen 2004 und 2014 keine Verwendung. Die Boschetsriederstraße lag seit den 60er Jahren brach.
Wir brauchen für einen zügigen Umzug mindestens 6 Wochen.
Vor diesem Hintergrund und der Aussicht auf einen Umzug im September 2018 haben alle Bewohner, trotz Berufstätigkeit und elterlicher Verpflichtungen den kompletten August frei genommen.
Seither warten, verhandeln und suchen wir. Ohne geeigneten Platz und Mietvertrag können wir es unmöglich schaffen bis Ende Oktober umzuziehen. Stadtverwaltung und Politik sollten jetzt Mut und Entschlossenheit zeigen. Wir fordern, dass unkommerzielle Projekte wie wir nicht aus der Stadt verdrängt werden!
München kann mehr und anders!
Mit freundlichen Grüßen,
Ihr Stattpark OLGA
Kontakt: sags.olga@gmx.de
Rad und Tat e.V.:
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Reiter,
wir, der Verein „Rad und Tat e.V.“, haben uns zusammengeschlossen, um ein Wohn- und Kulturprojekt mit sozialem Anspruch im Westend zu gründen. Hierzu haben wir uns bereits im Februar 2018 beim Bezirksausschuss Schwanthalerhöhe vorgestellt und eine hundertprozentige Zustimmung für unser Projekt bekommen.
Der Verein besteht mittlerweile aus 16 Erwachsenen, 4 Teenagern und 9, bald 10 Kindern. Wir wollen auf dem brachliegenden Grundstück MKII in der Ganghoferstraße 72 ein „Wagendorf“ gründen.
Bei uns versammelt sich eine bunte Mischung verschiedenster Berufe: Doktor der Physik, Sonderpädagogin, Holzbildhauer, Schreiner, Stimm- und Sprachtherapeutin, Islamwissenschaftler, Fotograf, IT-Fachmann, Baumpfleger, Lektorin und Künstler. Mit unseren unterschiedlichen Hintergründen möchten wir uns gern in Form von kulturellen Veranstaltungen und Aktivitäten in die Gestaltung des Viertels einbringen und die Nachbarschaft bereichern.
Seitens des Kommunalreferats haben wir bereits „grünes Licht“ bekommen und stehen nun allesamt in den Startlöchern, um die vereinsamte Kiesfläche an der Ganghofer-Brücke nutzen und beleben zu können. Leider warten wir nun schon seit langem auf den zugesagten Mietvertrag vom Kommunalreferat. Langsam läuft uns allerdings die Zeit davon, da der Winter naht und insbesondere unsere Familien nicht so flexibel und spontan agieren können.
Unsere zahlreichen Anrufe im Kommunalreferat sowie die Nachfragen unserer Unterstützer_innen Sibylle Stöhr (Vorsitzende BA 8 ) und Herbert Danner (Stadtrat) konnten bisher leider auch noch keine nennenswerten Fortschritte erzielen.
Mit diesem Schreiben möchten wir nun Sie um Unterstützung bitten und gerne mit Ihnen gemeinsam das Projekt voranbringen. Sehen Sie Möglichkeiten, die Mietbedingungen zeitnah klären zu lassen?
Wir freuen uns, von Ihnen zu hören und danken Ihnen vielmals für Ihre Zeit und Mühen!
Mit freundlichen Grüßen
Rad und Tat e.V.